Der bisher schwerwiegendste Unfall in der Geschichte der Atomenergie ereignete sich am 26. April 1986 nahe der Ortschaft Prypjat, in der Ukraine. In der Nacht explodiert bei einem Routinetest im Block 4 des Atomkraftwerkes „Wladimir Iljitsch Lenin“ der Reaktorkern und schleudert radioaktives Material mehrere tausend Meter in die Luft. Die komplette Umgebung von Tschernobyl wird radioaktiv verseucht, die Bevölkerung aber weder gewarnt noch evakuiert. Das passiert erst über 48 Stunden später, ohne Angabe von Gründen. Seitdem ist um Tschernobyl herum Niemandsland und die Zone wurde Sperrgebiet.
Jetzt, Jahrzehnte später, zieht es jedes Jahr tausende Touristen aus aller Welt in die Sperrzone. Sie alle wollen nach Prypjat, der Geisterstadt, die dem Kernreaktor am nächsten war. 30 Jahre später ist von der ruhmreichen Vorzeigestadt des Sozialismus nichts mehr übrig, es stehen nur Gerippe, wie etwa der Freizeitpark, der nie eröffnet wurde. Die Natur hat ihr Gebiet erstaunlich schnell zurückerobert.
Informationen über Einreisebedingungen, Visum, Steckdosen, Geld abheben und vieles mehr, findest Du unter Reisevorbereitung Ukraine
Tour nach Tschernobyl
Der Morgen beginnt um 06.30 Uhr. Glücklicherweise sind es nur 20 Minuten bis zum Aufnahmepunkt, der deutlich weiter ist als angegeben. Die Autos sind aber deutlich beschriftet, man kann sie nicht verfehlen. Direkt vor den Bussen ist der Check-up und die Kasse. Mein Tourguide lacht mich aus, als ich den Restbetrag von 2013,19 UAH bezahle und ihm eine Münze in die Hand drücke. Sein Kommentar: „Niemand zahlt die 0,19 UAH, wir nutzen keine Münzen. Du bist Deutscher, oder? Niemand zahlt hier passend“.
Die Reise dauert ca. 90 Minuten bis zum ersten Checkpoint. Auf der Tour gibt es erste Sicherheitshinweise, wie mit der Radioaktivität umzugehen ist. Danach gibt es das Unterhaltungsprogramm. Den Dokumentarfilm, über die ersten Stunden und Tage nach der Explosion von Reaktor 4, mit Interviews von Zeitzeugen. Der Film ist am Ende des Artikels eingebunden.
Tschernobyl Zone – Check Point One
Der erste Checkpoint ist erreicht und die Busse leeren sich. Alle strömen zum Souvenir Kiosk, in dem es nachgedruckte militärische Karten der Gegend und andere kuriose Sammlerstücke gibt. Die mobilen Geigerzähler werden ausgeteilt und jetzt wird die unsichtbare Gefahr real. Im Sekundentakt schlagen die Zähler an. Die meisten sind zu tief eingestellt und piepen die ganze Zeit, mich machte das wahnsinnig, ihr könnt die Toleranzschwelle vom Guide auch hochstellen lassen. Die meisten Asiaten, die von Natur aus lärmunempfindlich sind und teilweise unfähig selbstständig zu handeln, trotten stundenlang mit dem nervigen Piepen in der Gruppe mit. Völlig unbeeindruckt von dem Geräusch.
Leere Ortschaft zum Anfassen
Verlassene Häuser und zugewachsenen Wege machen den ersten Halt nicht wirklich spannend. Die Holzhäuser haben die 30 Jahre ohne Instandhaltung und Renovierung nicht überlebt und sind nur noch die Erinnerungen ihrer Selbst. Nach der Evakuierung kamen Truppen und zerstörten die Häuser absichtlich, um Plünderer zu zeigen, dass hier nichts mehr zu holen war und um unbelehrbare Genossen von der Wiederkehr in ihre Heimat abzuhalten. Niemand zieht in zerstörte Häuser zurück.
DUGA – Das geheime Raketenfrühwarnsystem (Woodpecker)
Ebenso wie die Amerikaner in den 80er Jahren ihr Raketenabwehrschild gebastelt haben, waren auch die Russen nicht untätig und errichteten geheime Anlagen, die der Messung von Schwingungen in der Atmosphäre dienten, um einen Raketenstart ballistischer Atomraketen frühzeitig zu erkennen. Das Projekt mit Codenamen „Woodpecker“ unterlag der strengsten militärischen Geheimhaltung und war abseits der Dörfer im Wald bei Tschernobyl untergebracht. Schon ziemlich beeindruckend dieses Gebilde aus Stahl und Drähten, das über tausende Kilometer Schwingungen in der Atmosphäre auffangen konnte. Es gab mehrere Anlagen dieser Art, die aber wieder rückgebaut wurden. Bei der Anlage in Tschernobyl wurde durch die Verseuchung durch Cäsium und Strontium keine Hand an die Anlage gelegt. So steht die ganze Hardware noch in der Gegend rum.
Kindergarten in Tschernobyl
Der nächste Punkt auf der Tour ist der Kindergarten, ein aus Backstein errichtetes Gebäude, welche mit dem leeren Schlafraum schon seltsam anmutet. Die meisten fanden das sehr befremdlich, allerdings ist das alles Kopfsache. Jede verlassene Ortschaft auf dieser Welt sieht so aus. Das drapieren von Puppen und Spielzeug trägt aber schon seinen Teil zum Kultstatus bei. Auf jeden Fall ein dankbares Fotomotiv.
Mittagessen
Wer alte Zeiten, wie im kommunistischen Regime, kennenlernen möchte, der sei auf das Mittagessen gefasst. Direkt am Eingang gibt es den obligatorischen „Radioaktiv Check“ und dann schnell in den Waschraum die Partikel abwaschen.
Der Guide hatte extra gebeten, nicht die Damen bei der Essensausgabe zu fotografieren, weil diesen das unangenehm war. Die Atmosphäre und das Essen warfen mich so weit in meine Vergangenheit zurück, dass ich mich wieder in der DDR wähnte.
Tschernobyl – Reaktor Block 4 mit Sarkophag
Aus der Kantine folgen wir dem Weg der Arbeiter. Der Komplex hat 5 Reaktoren, wobei Reaktor 5 noch in der Bauphase abgebrochen wurde und nie in Betrieb ging Seine rostige Hülle und die originalen Baukräne, die mit ihm verrotten, zeugen von einer längst vergessenen Ära.
Gleich dahinter kommt der Star der Anlage, Reaktor 4, das Sorgenkind. Nachdem vor einigen Jahren die Hülle um den Reaktorkern rissig wurde und Strahlung ausgetreten war, wurde im Jahre 2016 ein neuer Sarkophag für mehrere Milliarden Euro fertiggestellt. Der Preis hat sich gelohnt, die Strahlung direkt vor dem Reaktor ist kaum nennenswert. Nichts erinnert hier an die riesige Katastrophe, alles geht seinen geregelten Gang. Einzig ein Denkmal und die Touristenströme lassen besonderes erahnen.
Prypjat
Den Abschluss der Tour macht ein 90-minütiger Spaziergang durch die verlassene Satellitenstadt Prypjat. 3 Kilometer vom Kraftwerk entfernt, wurden die Einwohner mehrere Tage nicht über den radioaktiven Fallout informiert. Nachdem der Staatsführung das Ausmaß der Katastrophe bewusst wurde, hatten die Einwohner 2 Stunden Zeit, die wichtigsten Habseligkeiten zu packen und sich vor ihren Häusern einzufinden. Da es sich „offiziell“ nur um eine vorübergehende Evakuierung handelte, packten die Menschen wirklich nur das Notwendigste für eine kurze Reise ein, ohne zu ahnen, dass sie nie wiederkehren sollten. 25.000 Menschen wurden so in wenigen Stunden, mit aus dem ganzen Land zusammengezogenen Bussen, aus der heißen Zone evakuiert. Die vormals belebte Vorzeigestadt ist jetzt zugewachsen und überwuchert. Es ist erschreckend zu sehen, wie schnell sich die Natur ihren Lebensraum wieder erobert.
Das beste Beispiel hierfür ist das Fußballstadion. Von der Tribüne ist es nicht möglich, das andere Ende des Rasenplatzes zu sehen, hier befindet sich ein meterhoher Wald, der sich in gerade 30 Jahren entwickelt hat. Die vom Guide gezeigten Bilder verdeutlichen, wie schnell die Natur wieder übernommen hat. Plätze, Boulevards und Häuser sind verschwunden. Nur sehr große Betonflächen haben der Natur standgehalten, wie etwa der Rummelplatz, der niemals eröffnet wurde.
Was Du beachten solltest:
- Pflicht sind in der inneren Zone lange Kleidung (langes Shirt und lange Hosen) sowie geschlossenes Schuhwerk.
- Dein Reisepass! Ohne Ausweis kein Einlass. Wie früher in der Disco gibt es hier reinen Türsteher der das scharf überwacht.
- Insektenschutzmittel, durch die verwilderte Landschaft fliegt einiges an Ungeziefer rum. Gerade in der verlassenen Stadt geht es zu wie in Jurassic Park.
- Bargeld für die Bezahlung des Tourguides. Möglich in Dollar, Euro oder UAH.
- Und natürlich ausreichend Flüssigkeit für den Tag.